Semper der Jüngling

Semper der Jüngling

Otto Ernst Schmidt

5.0
Comment(s)
1
View
115
Chapters

Semper der Jüngling by Otto Ernst Schmidt

Chapter 1 Kapitel.

Handelt von Balladen und Pr?paranden, Gendarmen und hebr?ischen Handschriften, zum Glück auch von Pr?parandinnen.

Asmus Semper, der halbwegs sechzehnj?hrige Schüler des Hamburger Pr?parandeums, schwamm bis über die Augenbrauen in Seligkeit. Vor seinen Blicken wogte eine warme, goldene Flut. Herr T?nnings, der Ordinarius, der genau so aussah wie die Geometrie mit einem Stehkragen und von dem ein Gerücht ging, da? er vor sieben Jahren den einen Mundwinkel zu dem Versuch eines L?chelns verzogen habe, Herr T?nnings also hatte soeben verkündet, da? u. a. auch Asmus Semper eine Hospitantenstelle erhalten solle. Man denke, was das hei?t: eine Hospitantenstelle! Jeden Morgen von 8-12 Uhr sollte er in einer Volksschule dem Unterricht der Kleinen zuh?ren dürfen, und dafür bekam er noch obendrein ein j?hrliches Gehalt von dreihundertundsechzig Mark! Jeden Morgen sollt' er aus n?chster N?he hineinhorchen dürfen in die Werdestatt der Seelen, in die Wiege der Erkenntnis; das hohe Wunder sollt' er nun begreifen: wie der Geist des Menschen Nahrung aufnimmt, w?chst und sich vollendet!

Und noch dreihundertundsechzig Mark! Er hatte ja nichts von dem Geld, wollte auch keinen Pfennig davon, haha – aber auf das Gesicht seiner Eltern freute er sich, da? ihm die Augen hei? wurden. Er wollt' es ihnen nicht eher sagen, als bis er sie beide beisammen hatte, und dann wollte er die Wirkung beobachten; aber die kleine Wohnung der Semper betrat man durch die Küche, und in der Küche briet Frau Rebekka die Abendkartoffeln, und als er seine Mutter sah, konnte Asmus sich nicht mehr halten, und weil er wu?te, was seine Mutter am meisten freute, rief er: ?Ich kriege dreihundertundsechzig Mark das Jahr!?

Im n?chsten Augenblicke war Frau Rebekka schon in der ansto?enden Zigarrenmacherstube, schwang das Messer, mit dem sie die Kartoffeln umgerührt hatte, hoch in der Luft und rief: ?Freude war in Trojas Hallen!? Aber da stand auch schon Asmus neben ihr, und damit sie ihm nicht zuvorkommen k?nne, rief er: ?La?, Mutter, la?, ich will es Vater sagen! – Ich krieg' eine Hospitantenstelle mit dreihundertundsechzig Mark das Jahr!?

Und da hatte Asmus wieder den Anblick, der ihm vielleicht von allen auf der Welt der liebste war: in dem wei?umwallten Jupiterantlitz Ludwig Sempers gingen zwei Sonnen auf und verbreiteten Licht durch die ganze Welt.

?Ach nein – es ist ja wohl nicht m?glich!? rief der Vater, indem er den Kopf zurückwarf.

?Ganz gewi?!? rief Asmus. ?Nun verdiene ich mehr, als wenn ich Handwerker geworden w?re. Seht mal, wenn ich Tischler oder Hutmacher lernte, dann kriegte ich das erste Jahr gar nichts oder vielleicht drei Mark die Woche, und dies sind beinahe sieben Mark die Woche, und das geb' ich natürlich alles euch!?

Da schlug Ludwig Semper heftig das linke Bein über das rechte, wie er immer tat, wenn er in seinem Innern sehr zornig oder sehr lustig war, und redete fast den ganzen Rest des Abends mit stumm bewegten Lippen zu sich selber. Und hin und wieder lachte sein Gesicht laut und hell auf, ohne da? man einen Ton geh?rt h?tte, und unz?hlige Tabakbl?tter verschnitt er an diesem Abend und warf sie in die Abfallschürze, weil er mit seinem Messer immer wieder sausend über die sonnigen Felder und Weiden seiner Jugend fuhr. Ach, er hatte ja auch studieren sollen; aber dann war der finanzielle Zusammenbruch seines Vaters gekommen, und dann die Sorge, dann der Krieg mit den D?nen, dann seine Tr?umerei und sein erhabener Leichtsinn, und dann die Liebe, und dann immer ein Kind nach dem andern. Und so machte er mit 58 Jahren noch immer Zigarren. Aber mit einem Schlage war jetzt seine Jugend wieder da – da stand sie vor ihm, fünfzehnj?hrig, rotwangig – nichts war verloren; denn ob nun Ludwig Semper oder Asmus studierte, das war ja vollkommen dasselbe.

Rebekka aber, als sie von ?sieben Mark die Woche? h?rte, verga? all ihre Sparsamkeit, lief in die Küche und schob noch ein Stück Rindertalg unter die Kartoffeln, und als sie auch da noch ziemlich trocken ausschauten, griff sie leichtsinnig nach dem Teekessel und go? einen gewaltigen Strahl Wassers in die Pfanne, da? eine m?chtige Wolke wie eines Dankopfers zu den Himmlischen emporstieg.

Dann kam die Pfanne auf den Tisch, und sieben Semper versammelten sich and?chtig um das zentrale Heiligtum. Sie waren alle gesund, das sah man an den Bewegungen der Gabeln; aber Adalbert, der Jüngste, war so gesund, da? Frau Rebekka nach einer Weile ausrief: ?Halt, mein Junge, du hast jetzt genug. Es wird kein Fresser geboren, es wird einer gemacht!?

Adalbert wollte sich melancholisch zurückziehen, da sprach der Vater: ?La? doch den Jungen essen!? und trat seine Ansprüche an die Allgemeinheit ab.

Und nach dem Essen – obwohl die Semper über das Abendbrot hinaus bis gegen Mitternacht zu arbeiten pflegten – warf Ludwig Semper Messer, Tabak und Rollklotz in die Ecke, holte den stark zerlesenen und vergilbten ?Faust? vom Bücherbrett und las und warf das linke Bein über das rechte und bewegte die Lippen und l?chelte. Und alle waren still, und Asmus wu?te: Nun kommt eine heilige Stunde. Und wirklich, es w?hrte nicht lange, da klang es durch den Raum:

?Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,

Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst

Dein Angesicht im Feuer zugewendet. –?

- - - - - - - - - - -

In einem wunderlieben Dorfe, das sich jetzt zu einer gro?en, h??lichen Vorstadt Hamburgs ausgewachsen hat, damals aber noch im heitern Frieden seiner Kindheit lag, in einem Garten mit Rosen und Apfelb?umen fand Asmus die Schule, an der er hospitieren sollte. ?Ich habe zuviel Glück,? dachte er, als er sie nach einstündiger Wanderung vor sich liegen sah. Gew?hnlich, wenn er solch ein stummes Dankgebet in den Himmel hinaufsandte, zog ihm gleich darauf das Glück etwas ab, als wenn es d?chte: Der ist auch mit weniger zufrieden. Das erste n?mlich, was er tun mu?te, war: sich im Portal der Schule aufstellen und alle Schüler aufschreiben, die zu sp?t kamen. So hatte sich Asmus das Belauschen der Kindesseele nicht gedacht. Aber da es nun einmal sein Amt war, so notierte er gewissenhaft alles, was an Buben oder M?dchen den letzten Glockenschlag vers?umte, obwohl es ihm bei den M?dchen mitunter schwer wurde. Anfangs empfand er wohl so etwas wie die Würde einer obrigkeitlichen Stellung, namentlich als ein Vater, der mit dem Schulgeld im Rückstande war, an ihn herantrat und bat, da? man noch ein wenig Geduld mit ihm haben m?chte, und ihm heimlich ein paar Zigarren in die Hand drücken wollte. Asmus wich zwar ?ngstlich zurück und rief: ?Darüber habe ich leider gar nichts zu sagen!? – aber als deutscher Jüngling fühlte er sich doch geschmeichelt, da? man ihn für eine Beh?rde hielt. Diese Reize indessen verflüchtigten sich schon nach wenigen Tagen. Dann kam eines Morgens ein blasses, frierendes, von Regen durchn??tes M?gdelein, das weinte.

?Warum weinst du?? fragte Asmus.

?Ich konnte nicht eher kommen; mein Vater hat meine Mutter 'rausgeschmissen.?

?Warum das denn??

?Och, er is all wieder duhn (betrunken).?

?So früh schon??

?Ja, er s?uft immer 'rum.?

Asmus erschrak. Gab es Kinder, die so über ihren Vater reden konnten?

?Geh' nur zu,? sagte er. Das war ja selbstverst?ndlich, da? man die nicht aufschrieb. Er sah ihr nach und dachte daran, da? sie fror. Und dachte, wie er als Junge gefroren, wenn ihm der Wind unter die dünne Jacke fuhr.

Von nun an fragte er ?fter nach dem Grunde der Versp?tung, und er notierte immer weniger. Und eines Tages sagte er sich: Entweder man mu? alle aufschreiben oder keinen. Und nun lie? er alle vorbeilaufen und arbeitete an seiner ersten Ballade, die handelte von einem Fischer, der aufs Meer fuhr, um seinen Sohn zu retten, und der dann mit seinem Sohne ertrank. Das Sch?nste an dieser Ballade war eine Refrainstrophe, die mit den Zeilen schlo?:

?Drunten klingt verworrner Klang,

T?nt es nicht wie Grabgesang??

Alles, was nach Grab und Unglück klang, das fand der glückliche Asmus jener Tage ohne weiteres sch?n.

?Warum notieren Sie nicht die Zusp?tkommenden?? fragte schlie?lich der Oberlehrer.

?Ich mag das nicht,? sagte Asmus verlegen.

?Ja, danach geht es nicht,? rief der Vorgesetzte. Aber bald darauf wurde die ganze Einrichtung aufgehoben, und der Posten des Kulturgendarmen wurde eingezogen.

Der Oberlehrer sch?tzte den jungen Semper wegen anderer F?higkeiten. Leider, dachte Asmus. Denn wenn die Wache am Portal vorüber war, mu?te er im Amtszimmer des Schulleiters dickleibige Schülerregister anlegen und auf dem Laufenden halten, Schulgeldrechnungen schreiben, sie mit den Hebeprotokollen ?kollationieren? und endlose Kolonnen von Schulgeldern addieren. Auch das führte den Begierigen nicht in die Tiefen der Kindesseele. Es waren fünf Pr?paranden da: zwei junge M?dchen und drei junge ?M?nner?, sie alle mu?ten Protokolle schreiben und Rechnungen addieren. Unter den jungen Herren war aber einer, dessen Handschrift man zun?chst immer für hebr?ische Schriftzeichen hielt; erst nach und nach kam man dahinter, da? es die bekannten deutschen Buchstaben sein sollten. Da Claus Münz überdies ohne jedes Schamgefühl addierte, so wurde er schon nach drei Tagen in die Klassen zum Hospitieren geschickt. Asmus hingegen, weil er eine gute Handschrift hatte, seine Rechnungen sogar mit einem gewissen Sch?nheitsbedürfnis schrieb und es nicht über sich gewann, falsch zu addieren, Asmus durfte im Bureau sitzen bleiben. Ihm fielen die Verhei?ungen des Herrn R?sing, seines alten Lehrers ein, der jeden Morgen gesagt hatte: ?Jungens, schafft euch 'ne sch?ne Handschrift an; wer 'ne sch?ne Handschrift hat, kommt überall fort!?

Freilich: sein Sch?nheitsbedürfnis hatte auch schon in den ersten Tagen das Glück herausgefunden, das auch mit dieser Schreibstube wieder verbunden war, und dieses Glück war eine der Pr?parandinnen, die sehr hübsch war und noch obendrein brünett. Asmus schrieb und addierte den ganzen Morgen mit einer selig-schmerzlichen Spannung in der Brust, und der Schmerz kam daher, da? er sich sagte: Ich kann ja noch lange nicht heiraten. Und wenn ich heiraten kann, hat sie ein anderer geholt. Die andern beiden Jünglinge kokettierten in unschuldiger, aber flei?iger Weise mit den beiden M?dchen. Asmus dachte nicht daran, auch nur den Versuch zu wagen, weil er von seiner vollkommenen T?lpelhaftigkeit in dieser Hinsicht durchaus überzeugt war. Und eines Tages machte er dennoch den Versuch, zu imponieren. Das Zimmer war überheizt, wie alle Schreibstuben, und man klagte darüber. ?Ja,? sagte Asmus, der nahe dem Ofen sa?, ?hier sitzt man wie die Sau am Spie?; denn er hatte das Gefühl, da? eine kraftvolle Ausdrucksweise den Mann verrate. Aber, o weh: die Damen fuhren wie wild mit den K?pfen in ihre Arbeit und kicherten, wie nur Backfische kichern k?nnen. Sie denken: das ist ein Bauernt?lpel, sagte sich Asmus, und fühlte, da? er von den Haarwurzeln bis unter den Halskragen err?te. Und die m?nnlichen Kollegen Asmussens, Herr Münz und Herr Morieux, betrachteten ihn mit überlegen-mitleidigen Blicken, als wollten sie sagen: Ist das ein ungebildeter Mensch. Aber als wenige Tage darauf von Rousseaus ?Emile? die Rede war, da zeigte sich, da? nur Asmus wu?te, was wirklich darin steht, und die Braune hielt ihre braunen Augen so lange auf ihn gerichtet, als wenn sie ihn heute zum ersten Male sehe.

Continue Reading

You'll also like

Chapters
Read Now
Download Book
Semper der Jüngling
1

Chapter 1 Kapitel.

04/12/2017

2

Chapter 2 Kapitel. No.2

04/12/2017

3

Chapter 3 Kapitel. No.3

04/12/2017

4

Chapter 4 Kapitel. No.4

04/12/2017

5

Chapter 5 Kapitel. No.5

04/12/2017

6

Chapter 6 Kapitel. No.6

04/12/2017

7

Chapter 7 Kapitel. No.7

04/12/2017

8

Chapter 8 Kapitel. No.8

04/12/2017

9

Chapter 9 Kapitel. No.9

04/12/2017

10

Chapter 10 Kapitel. No.10

04/12/2017

11

Chapter 11 Kapitel. No.11

04/12/2017

12

Chapter 12 Kapitel. No.12

04/12/2017

13

Chapter 13 Kapitel. No.13

04/12/2017

14

Chapter 14 Kapitel. No.14

04/12/2017

15

Chapter 15 Kapitel. No.15

04/12/2017

16

Chapter 16 Kapitel. No.16

04/12/2017

17

Chapter 17 Kapitel. No.17

04/12/2017

18

Chapter 18 Kapitel. No.18

04/12/2017

19

Chapter 19 Kapitel. No.19

04/12/2017

20

Chapter 20 Kapitel. No.20

04/12/2017

21

Chapter 21 Kapitel. No.21

04/12/2017

22

Chapter 22 Kapitel. No.22

04/12/2017

23

Chapter 23 Kapitel. No.23

04/12/2017

24

Chapter 24 Kapitel. No.24

04/12/2017

25

Chapter 25 Kapitel. No.25

04/12/2017

26

Chapter 26 Kapitel. No.26

04/12/2017

27

Chapter 27 Kapitel. No.27

04/12/2017

28

Chapter 28 Kapitel. No.28

04/12/2017

29

Chapter 29 Kapitel. No.29

04/12/2017

30

Chapter 30 Kapitel. No.30

04/12/2017

31

Chapter 31 Kapitel. No.31

04/12/2017

32

Chapter 32 Kapitel. No.32

04/12/2017

33

Chapter 33 Kapitel. No.33

04/12/2017

34

Chapter 34 Kapitel. No.34

04/12/2017

35

Chapter 35 Kapitel. No.35

04/12/2017

36

Chapter 36 Kapitel. No.36

04/12/2017

37

Chapter 37 Kapitel. No.37

04/12/2017

38

Chapter 38 Kapitel. No.38

04/12/2017

39

Chapter 39 Kapitel. No.39

04/12/2017

40

Chapter 40 Kapitel. No.40

04/12/2017